Wallis Bird

Wer die irische Musikerin Wallis Bird noch nicht kennt, sollte sich auf jeden Fall die Zeit nehmen, dieses Energiebündel einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich traf Wallis auf dem Orange Blossom Special Festival in Beverungen zu einem sehr entspannten Interview.


Dein Album erschien am 11. April, wie fühlt es sich an die neuen Lieder in die Welt zu tragen?


Gut, Gott sei Dank. Es ist witzig, wenn ich etwas schreibe, dann bin ich sehr stolz auf diese Lieder und es tut gut sie zu spielen. Und auch nach ein paar Monaten ist es immer noch etwas Neues. Aber bei diesem Album, was interessant ist, ist es noch nicht langweilig geworden die Songs zu spielen. Es ist erst die zweite Tour jetzt, das Album entstand so schnell, alles ging so schnell.


Ich habe gelesen, dass du nur ein paar Wochen zum Aufnehmen gebraucht hast.


Zum Aufnehmen, insgesamt, ja nur sechs Wochen. Ich war gerade nach Berlin umgezogen, und das Ding war, ich hatte Bock auf alles, außer Musik zu machen.


Du lebst ja seit einiger Zeit in Berlin, wie hat sich der Berliner-Vibe auf deine Musik und den Produktionsprozess übertragen?


Dance Musik war ein großer Einfluss, ich war verliebt in einen House Music Produzenten. Und dadurch habe ich natürlich viel House Music gehört. In der House Music gibt es viele Anti-Rhythmen, viel im Off-Beat und das hat mich sehr inspiriert. Auch, dass ich all mein Zeugs, meine Instrumente, mein ganzes Leben und meine besten Freunde an einem Platz hatte. Das ist das erste Mal in meinem Leben. Ich habe mir mein Home Studio eingerichtet. Es war so wie, aus dem Bett fallen und rein ins Home Studio.


Also hast du quasi zu Hause aufgenommen?


Ja, ich hab viel zu Hause aufgenommen. Ich wollte eigentlich keine Gigs spielen. Normalerweise spiele ich 80 Shows, oder so, pro Jahr. Dann bist du fast 240 Tage unterwegs und eigentlich ist das Einzige was ich machen will zu Hause zu bleiben. Deswegen habe ich gesagt keine Gigs mehr. Also nur ein Paar, so 30 - 40, denn ich muss mich auf das Album konzentrieren und neue Songs schreiben. Aber nee, so war es nicht, ich wollte feiern, die ganze Zeit. Die Leute kannten das nicht von mir, sie glaubten dass ich die ganze Zeit gearbeitet hätte. Aber wie gesagt, es entstand sehr schnell. Das war eine gute Inspiration, in der Lage zu sein, tun und lassen zu können, was ich wollte.


Wenn du Songs schreibst, was kommt zuerst, die Texte oder die Melodien?


Völlig unterschiedlich. Der Text entsteht wie auf Percussions. Ich benutze Worte mit sehr eckigen Konsonanten, wenn ich ein flüssiges Lied machen will, sonst würde es zu soft. Manchmal rundere Wörter, zum Beispiel wenn man über Sex singt, oder was auch immer. Alles hängt irgendwie zusammen.


Und bei der Melodie. Bei diesem Album war es am Anfang fast nur Rhythmus. Ich wollte eigentlich das Blut in Wallung bringen. Wollte fit und gesund sein, also habe ich viel Tanzmusik geschrieben. Es war so dass ich zuviel im Kopf hatte. Ich wollte nicht reden, sondern nur tanzen.


Aber ja, es ist ganz unterschiedlich.


Hast du einen bestimmten Ort, an dem du am liebsten Songs schreibst? Einen Lieblingsplatz?


Lieblingsplatz? Nee, hab ich nicht gefunden. Als ich in Brixton wohnte, gab es einen Platz im Park. Und manchmal zwei Räume die wir benutzen konnten. Aber wahrscheinlich ist, zu Hause. Das klingt scheiße! Total langweilig.


Auf deinem Album sind zehn Songs, welchen davon spielst du am liebsten live?


Ja, im Moment ist es, also es sind zwei Teile/ Songs. Sie heißen “I can be your man“ und “Girls“. Live kommen sie nacheinander. Sie fühlen sich an wie ein Song.


Und warum gerade diese?


Auf der Bühne ist es sehr kompliziert. Das Arrangement ist sehr kompliziert, welches ich geschrieben habe. Es ist immer eine Herausforderung sie zu spielen. Ja und “Girls“, das ist ein dreckiges Lied. Es ist sehr aktiv, es geht um Sex. Du willst nicht zu viel über Sex nachdenken während du spielst, denn sonst fängst du an dich so auf der Bühne zu bewegen, und das könnte peinlich werden. (lacht)


Aber das könnte lustig für die anderen werden!


Für die anderen, oh ja, oh ja!


Aber es ist schon sehr anders, die Gitarre ist ziemlich runter gestimmt, fast eine Oktave, sodass es fast wie ein Bass klingt. Und es fühlt sich an, als würde ich einen Penis in meinen Händen halten, ein bisschen. Was gut ist. Ich weiß auch nicht, wie es sich in meinem kopf anfühlt. Das ist eine komische Beschreibung, sorry.


Ich habe dich ja auch schon live erleben dürfen! Mein erster Eindruck war wow, welch eine Energie. Woher nimmst du diese Energie auf der Bühne?


Ich weiß nicht, es ist in mir, es ist im Blut. Und es will raus.


Also hast du es nicht unter Kontrolle?


Nein, definitiv nicht! Es hat mich unter Kontrolle!


Wirklich? Das war ein Witz!


Nein, aber es ist wahr. Das ist wirklich wahr. Das Ding mit Musik ist, ich bin nie krank auf Tour. Mein Körper sagt ich kann nicht krank sein. Das ist das Gleiche wie mit Menschen die sagen, ich kann nicht krank sein. Ich muss hart arbeiten. Ich bin glücklich, dass ich keine Krankheit habe, ich bin wirklich fit. Obwohl ich viel rauche und trinke. Ich lebe wirklich nicht sonderlich gesund. Aber für Konzerte ist es die einzige Zeit, wo ich relativ gesund lebe. Für die Energie ist es völlig egal, was am Tag passiert. Ich bin fokussiert und am Ende ist alles vergessen.


Was war das Lustigste, oder Dümmste was dir auf Tour passiert ist?


Oh Gott...ach du Scheiße. Jeder Tag ist dumm. Wir haben in Hamburg auf dem Reeperbahnfestival gespielt. Und wir waren shoppen in Second Hand und Antik Läden. Und dann hat mich jemand angerufen und gefragt, wo zur Hölle bist du? Du musst in fünf Minuten auf der Bühne sein. Also sind wir hingerannt, alles es war voll stressig. Ich hab vor dem Gig auf die Bühne gekotzt, weil ich so besoffen war. Das war so peinlich. Und dann wollte ich das Kabel in meine Gitarre stecken und es kam kein Ton heraus. Ich hab mich gefragt was los ist, aber das Kabel war in eine andere Gitarre gesteckt. Dann guckte ich herunter und es war kein Tonabnehmer in meiner Gitarre, den hatte ich zuhause vergessen.


Meine Hose ist auf der Bühne kaputtgegangen. So peinlich. Ich hatte keine Unterwäsche an, und die Hose ging in der Mitte kaputt. Das war in Freiburg, saupeinlich. Ich hatte keine andere Hose dabei! Also hab ich es mit Gaffa Tape geflickt. Aber das ist das Allerpeinlichste, wenn jeder deine Mumu sieht. Das sollte ein Gig sein und kein Porno!


Aber danach ist dir nichts mehr peinlich!


Nee, wenn jeder deine Mumu sieht, gibt’s nichts mehr zu verstecken. Du kannst alles machen. Das war schon sehr peinlich. Da sind so viele Geschichten, die ich vergessen habe.


Mit wem würdest du gerne Mal einen Song aufnehmen? Hast du irgendeinen Musiker, den du anhimmelst?


Jap, da gibt es eine Dame, sie heißt St. Vincent. Sie ist super, übertalentiert. Sie spielt wie eine Sau und die Musik ist neue Popmusik, sehr intellektuell, sehr avantgarde, aber nicht oberflächlich. Es ist schwer gute, intellektuelle, intensive, geile Popsongs zu machen, wo du mitsingen und tanzen kannst. Ihre Arrangements sind immer sehr komplex. Du musst sie mal anhören. Ihr neues Album hat sie in drei Monaten geschrieben, es ist ein pam pam Album. Deswegen ist es auch das zuversichtlichste und interessanteste Album. Sie ist der Hammer!


Wenn du etwas an der Musikindustrie ändern könntest, was wäre das?


Mehr Musik, weniger Business. Man sollte mehr hinhören. Es gibt zuviel Geldmacherei. So was wie mit Glitterhouse ist geil, denn es ist nur für Musik. Es ist toll, wenn die Geld verdienen können, denn das ist Leben. Aber als erstes sollte das Musikmachen kommen. Und in der Musikindustrie, oh Gott, es ist manchmal peinlich. Keine Ahnung von Musik.


Ich finde ja immer super, wenn man von ganz unten, sich alles selbst erarbeitet, in Eigenregie und auch die Alben, alles selber produziert, ganz ohne Plattenfirmen.


Ja! Ja, das ist geil. Es ist so super was passiert, alles ist so billig geworden. Und du kannst dein Lied zu Hause, auf dem Laptop schreiben. Alles was du brauchst ist ein kleines Interface für vielleicht 100€, ein 60€ Mikro und ein Laptop, dann kannst du ein Lied auf iTunes hochladen und verkaufen. Myspace für den Anfang. Facebook ist scheiße, da gibt’s keine Musik und jeder benutzt es!


Was würdest du Nachwuchskünstlern für Tipps geben, um ihren Weg zu finden?


Nicht auf die falschen Leute hören. Bleib bei den Leuten, die dir gutes tun wollen, die es dir ermöglichen gut zu spielen. Das ist gut für dein Herz. Weil, es ist wie ich gesagt hab, es gibt zuviel Business in der Musikindustrie. Das verblendet das Experimentieren und Kunst einfach. Und wenn eine Band größer geworden ist, gibt es viel mehr Leute die sagen, Hey du bist sau geil. Und dann verlierst du den Boden unter den Füßen. Und du vergisst ob du wirklich gut spielst.


Was ist für dich das Beste, und was das Nervigste am Touren?


Ich fang mal mit negativ an und ende mit positiv. Negativ ist dass es viele Emotionen gibt. Jeder spielt mit Herzblut, dann wird es manchmal zu emotional, wenn es ein schlechter Tag war. Das ist der Moment, wenn Leute Freunde sein müssen. Wenn du dann schlecht gegessen hast, zu viele Drogen, zu viel Bier, oder nicht genug Schlaf gehabt, dann ist es Chaos. Das ist dann manchmal einfach zu viel. Es fühlt sich an, als würde dein ganzes Leben auseinanderfallen. Das ist der negative Teil.


Und das Beste ist, was Klischee ist, reisen, spielen, Freunde treffen, in fröhliche Gesichter blicken. Das ist großartig!


Was machst du nach einer langen Tour als erstes? Hast du Rituale, oder verkriechst du dich ein paar Tage und genießt die Ruhe?


Auf jeden Fall! Nix, absolut gar nichts! Im Bett bleiben, Fernsehen gucken, nichts für ein paar Tage. Und danach weggehen und einfach nur tanzen, tanzen, tanzen. Ich liebe Tanzen, und ich mag Babysitting, so oft wie es möglich ist, will ich Zeit mit Kindern und Tieren verbringen.


Wo siehst du dich in zehn Jahren?


Ich weiß nicht.


Barbados, zu viel Geld?


(lacht) Ja, ich bin ein Bankräuber. Ich weiß nicht, ich hoffe dass jeder ein zufriedenes Gefühl hat. Und dass die nächsten zehn Jahre das geben, was die letzen genommen haben. Die letzten zehn Jahre waren schon hart, wir sind auch nicht bekannt oder fucking Rhianna, oder Millionäre. Kein Erfolg, Erfolg und Geld sind mir egal, ich will nur glücklich sein. Aber für alle anderen in meinem Team wünsche ich ihnen etwas Erfolg. Ich wüsche ihnen dass sie sich ein Auto leisten können.


Könnte Wallis Bird ohne Musik leben?


Neeee, gar nicht. Glaub ich nicht.


Und nun eine schöne Frage zum Abschluss. Du hast fünf Worte um deine Musik zu beschreiben!


Oh Gott.


Serious, verspielt, intim, laut, persönlich!



| Johanna Edler | | photographer | | medicine mag | | johanna.edler@medicine-mag.com | | http://www.medicine-mag.com |